Experten wissen es: Alle Kinder können ein- und durchschlafen.
Doch warum tun sie es bloß nicht? Ja zum Baby-Autorin Jessica Bach hat sich mit dem Phänomen beschäftigt
Wie hatte ich mich auf den Grillabend bei Katrin und Bernd gefreut. Endlich würde ich meine „alte” Kollegin und ihren Mann wiedersehen. Seit Monaten hatte ich Katrin nicht gesehen, und ihren zehn Monate alten Sohn Lucas kannte ich bis dato nur von Fotos: ein richtiger Wonneproppen, ein niedliches Knuddelbaby, sicherlich der Stolz der ganzen Familie. Mit einem Stoffteddy in der Hand stand ich gegen 20 Uhr vor der Tür und hörte den Kleinen schon von weitem: Herzzerreißende, an Hysterie grenzende Schreie drangen an mein Ohr. Als Katrin die Tür öffnete, bekam ich den ersten Schock des Abends: Meine bildhübsche, immer so perfekt gestylte Kollegin sah aus, als hätte sie die letzten Wochen unter einer Brücke zugebracht – ungekämmt, dunkle Ränder unter den Augen, mit Jogginghose und Schlabber-Shirt bekleidet. Der purpurrot angelaufene Schreihals auf ihrem Arm musste Lucas sein. „Der Kleine macht abends immer Theater, weil er nicht einschlafen will”, begrüßte mich eine ziemlich erschöpfte Katrin. Ich ahnte Schreckliches.
Während ich mich schon mal auf die Terrasse setzte, begann für Katrin und Bernd der anstrengendste Teil des Tages: Das „Baby, bitte schlaf doch endlich!”-Programm. Zunächst versuchte Katrin ihr Glück. Sie legte den Kleinen mindestens zehnmal hintereinander ins Babybettchen, bot ihm im Wechsel Schnuller und Trinkfläschchen an, nahm das brüllende Baby wieder auf den Arm, trug den Kleinen durch die Wohnung. Erst, als meine Freundin ihr Baby an die Brust legte, verstummte Lucas spontan, um nach der Mahlzeit gleich wieder loszulegen. Jetzt kam Papa Bernd ins Spiel: Er tanzte mit dem Kleinen um den Tisch, sang dazu „Alle
meine Entchen”, und prompt geschah das Wunder: Lucas schien den amüsanten Mix aus Tanz und Gesang zu schätzen und hörte auf zu schreien. Er schloss die Augen und Bernd legte das friedliche Baby ins Bettchen. Doch Lucas bemerkte den Trick. Und das Geschrei begann von Neuem.
In dieser Nacht konnte ich nicht einschlafen. Katrin, Bernd, Schreibaby Lucas und das nächtliche Spektakel gingen mir nicht aus dem Sinn. Und natürlich dachte ich gleich an die Zeit, als meine Kinder (mittlerweile 6 und 10) noch Knirpse waren. Unsere Tochter Lara kannte zwar keine Probleme mit dem abendlichen Einschlafen,
dafür nächtigte „unser Engelchen” in ihren ersten Lebensjahren (!) ausschließlich in unserem Schlafzimmer. Noch mit knapp vier Jahren strafte Lara ihr hübsches rosarotes Kinderbett mit Nichtachtung. Auf einer Matratze schlief sie Nacht für Nacht neben unserem Ehebett. Trotz des ungebetenen nächtlichen Besuchers schaffte ich
es irgendwie, erneut schwanger zu werden. Und dann kam Jan zur Welt, der klassische Baby-Albtraum. Er trank schlecht, litt unter Dreimonatskoliken, brüllte unentwegt und schlief im ersten Lebensjahr selten länger als zwei Stunden am Stück. Um Jan zum Ein- und Durchschlafen zu motivieren, starteten mein Mann und ich – ähnlich wie Katrin und Bernd – die tollsten Experimente. Wir ließen stundenlang den Staubsauger laufen; wir fuhren den kleinen Schreihals mitten in der Nacht im Kinderwagen spazieren; wir stellten die Nahrung um; wir kauften CDs mit indianischer Entspannungsmusik. Nichts half.
Doch dann empfahl mir meine Freundin Sarah einen dieser Eltern-Ratgeber. Ums Schlafenlernen ging’s in besagtem Werk für gestresste, von ständigem Schlafmangel geplagte Eltern. Der damals einjährige Jan lernte binnen kürzester Zeit das Ein- und Durchschlafen. Nach einigen Tagen fand ich das Buch in der Flohmarkt-Kiste.
Nach weiteren zwei Wochen packte ich es endlich ins Auto und machte mich auf den Weg zu Katrin und Bernd. Als ich gegen 21 Uhr klingelte, erwartete ich das grauenvolle Chaos. Doch es herrschte Ruhe. Eine wesentlich entspanntere und frisierte Katrin öffnete die Tür. Ich holte mein Buch aus der Tasche, und Katrin lachte: „Kurz nach deinem letzten Besuch habe ich mir im Internet Tipps zusammengesucht und mit Lucas das Schlafen trainiert! Seit vier Tagen schläft unser Sohn ohne Gebrüll ein.” Gut gelaunt saßen Katrin und ich an diesem Abend noch auf der Terrasse – hatten Spaß, lachten über alte Zeiten, tauschten den neuesten Büroklatsch aus und quatschten bis in die Nacht.
Experten glauben, dass Kinder Schlafen lernen müssen.
Hier die Erfolg versprechendsten Regeln für das Schlaftraining:
Regeln und Rituale
- feste Schlafenszeiten einzuhalten. Rituale vor dem Einschlafen (z. B. waschen, schmusen, stets das gleiche Gute-Nacht-Lied oder Gebet) erleichtern Kindern das Einschlafen.
- das Kind ohne Hilfestellungen oder Hilfsmittel ins reich der Träume gleiten zu lassen. Kinder, die immer auf Papas Arm, an Mamas Brust, mit Trinkfläschchen oder während der abendlichen Autofahrt einschlummern, werden das Einschlafen mit diesen Situationen in Verbindung bringen und alleine im eigenen Bettchen kaum noch zur Ruhe finden.
- das selbständige Einschlafen konsequent zu „trainieren”. Wie’s funktioniert, verraten zahlreiche Ratgeber (z. B. „Jedes Kind kann schlafen lernen”, Oberstebrink Verlag, 17,80 Euro) sowie die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (Internet: www.dgsm.de).
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