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  Die Geburt – natürlich oder Kaiserschnitt? – Teil 2 von 3

Geschichte der Bewegung für eine für „natürliche Geburt“


 


Doch lassen Sie mich ganz kurz auf die Geschichte der Bewegung für eine „natürliche Geburt“ eingehen.


Es ist nicht sehr sinnvoll nach einer einzigen Entwicklungslinie von Vorstellungen und Methoden Ausschau zu halten, und die Geschichte der Bewegung zeigt, daß es im Laufe der letzten 40 -–50 – 60 - 70 Jahren in verschiedenen Ländern ganz spontane und voneinander unabhängige Entwicklungen gegeben hat.

Interesse für die seelische Situation der Frauen während der Geburt zeigt erstmals Grantly Dick-Read in den dreißiger Jahren. Seine Bücher in Verbindung mit Erkenntnissen aus der geburtshelferischen Physiotherapie bilden die Grundlage für die meisten Arten der Geburtsvorbereitung, die heute vor allem in England und Deutschland von vielen Hebammen als Hilfe für die gebärende Frau anerkannt werden.

Methoden, mit denen in sowjetischen Krankenhäusern gearbeitet wird und die und die auf den Pawlowschen Reflex basieren (der mit dem Speichelfluß der Hunde experimentierte), werden als entscheidenden Einfluß auf die französische Methode genannt, die man zuerst Unklugerweise als „schmerzlose Geburt“ bezeichnet, die heute jedoch als Psychoprophylaxe bekannt ist. Obwohl auch die französischen Geburtshelfer ihren Dick-Read gelesen haben, betonen sie, daß ihre Methode sich darin unterscheide, daß sie darauf basiere, eine Reihe von konditionierten Reflexen aufzubauen, welche die Wirkung haben, die Schmerzschwelle zu heben, so daß Empfindungen, die vom Gehirn früher als schmerzhaft interpretiert wurden, danach als schmerzlos akzeptiert werden.

Es war Fernand Lamaze, ein französischer Geburtshelfer, der in einer Klinik der Kommunistischen Gewerkschaft in einem finsteren Viertel von Paris arbeitete und bei einem Besuch in der Sowjet-Union von der Stille in den Entbindungsstationen beeindruckt war, in denen diese Methoden praktiziert wurden; er brachte sie mit zurück nach Westeuropa und erfand neue Techniken dazu – bemerkenswert ist besonders die Methode „Hecheln wie ein Hund“ und auf den Wehen reiten. Diese Methoden, die zum großen Teil aus Frankreich und den UDSSR kamen, führten dazu, daß man gern das Fehlen von schmerzhaften Erfahrungen betonte, doch wurde dabei vielleicht auf Kosten von manchen jener Mütter, die sich auf sie stützten, jene glückliche Heiterkeit vernachlässigt, die sich bei einer kreativen Erfahrung des vollständig harmonischen körperlichen-geistigen Geschehens einstellt. Dabei kann der Schmerz im Hintergrund anwesend sein oder auch nicht – aber wenn er da ist, wird er bereitwillig als etwas erlebt, das unter Kontrolle ist, oder das man beiseite schiebt, weil es nicht annähernd so wichtig ist wie die Aufgabe, ein Baby zu bekommen.

Mütter, die sich vorstellen, daß ihre Entbindung völlig schmerzlos verlaufen würde, erlitten oftmals einen äußerst unerfreulichen Schock, und eine Frau, die nicht auf die gewaltigen Empfindungen und die erstaunliche Kraft der Gebärmutterkontraktionen vorbereitet ist, kann leicht in Panik geraten und ist schlechter dran, als hätte sie vorher überhaupt keine Hinweise erhalten.

Ich trage eine sehr große Verantwortung, wenn eine Frau so auf die Geburt vorbereitet wird, daß sie beim ersten echten Schmerz das Gefühl bekommt, versagt zu haben. Die meisten Frauen müssen damit rechnen, daß sie am Ende der ersten Phase Schmerzen oder große Beschwerden zu ertragen haben.

Wenn die Schmerzen sehr groß sind, kann die Mutter natürlich eine Betäubung erhalten, und schmerzstillende Mittel sollten immer bereit liegen. Es ist nichts unrühmliches daran, Hilfe anzunehmen, wenn man sie braucht.


Es gibt heute Möglichkeiten der örtlichen Betäubung – die sogenannte Peridural-Anästhesie, die sehr oft verabreicht wird. Diese Art von Anästhesie bedeutet, daß die Frau weder eine Vollnarkose erhalten muß und völlig „weg“ ist, noch daß sie so stark unter medikamentösen Einfluß steht, daß sie nicht fähig ist, sich während der Wehen auf das Atmen und Entspannen zu konzentrieren.

Diese Art von örtlicher Betäubung wird allerdings häufig so gesehen, als müßte sie grundsätzlich bei allen Frauen während der Entbindung eingesetzt werden, ungeachtet ihrer persönlichen Einstellung, der Heftigkeit ihrer Schmerzen oder dessen, was sie gelernt haben. Geburtshelfer schätzen die örtliche Betäubung oft sehr, weil die Frau völlig beherrscht und klar bei Verstand ist und in keiner Weise von Emotionen oder von der Intensität der Geburtserfahrung überwältigt wird. Sie wirkt oft wie eine mehr oder weniger unbeteiligte Beobachterin der Szene, und der Geburtshelfer kann sich mit der Aufgabe befassen, das Baby zu entbinden. Es ist genau die Situation, die gut zur Routine eines geschäftigen Krankenhauses paßt, und da der Geburtshelfer (wegen dieser Narkose) häufiger mit der Zange oder Saugglocke entbinden muß, kann die Geburt sorgfältig zeitlich abgestimmt und kontrolliert werden, und vor allem kann sie dann stattfinden, wenn der Arzt bereit und zur Stelle ist. Und darüber hinaus kann man, wenn die Geburt nicht zur rechten Zeit beginnt, mit einem synthetischen Hormon – die Wehen in Gang bringen und unter Kontrolle halten, ohne der Mutter irgendwelche Beschwerden zu verursachen.


Aber sei der Geburtshelfer auch noch so geschickt beim Entbinden und das Krankenhaus noch so gut ausgerüstet mit Apparaturen, die den Herzschlag des Babys aufzeichnen, und mit Instrumenten, die einen Blutstropfen von seiner Kopfhaut entnehmen, während es sich noch in der Gebärmutter befindet, und mit Einrichtungen, die dazu da sind, die Geburt für das Baby sicherer zu machen, so bleibt doch die Geduld eine Tugend in der Geburtshilfe, und das Beschleunigen der Vorgänge in der Natur geht auf unser Risiko. Deshalb ist es wahrscheinlich am besten, die örtliche Betäubung – die offenkundige Vorteile hat, wenn eine Frau von Schmerzen gequält wird – auf Fälle zu beschränken, in denen sie eine überzeugende Lösung bietet. (Geburtsstillstand trotz heftiger Wehen usw.)



Manche Frauen hoffen auf die örtliche Betäubung, weil sie das Gefühl haben, daß sie auf diese Weise dem Geburtsvorgang gerecht werden können, ohne Schmerzen zu haben. Das ist gewiß wahr, aber ihnen ist wohl nicht klar, daß sie auch etwas versäumen können – das intensive und erschütternde Gefühl beim Austreten des kindlichen Kopfes, das nicht nur schmerzlos, sondern auch ungeheuer befriedigend sein kann, auch wenn es zugleich eine ganz außergewöhnliche Empfindung ist. Vom entgegengesetzten Standpunkt aus mag es so erscheinen, als müsse es ein traumatisches Ereignis sein, und wahrscheinlich sind viele von denen, die im Entbindungsraum Dienst tun, davon überzeugt, daß das Gebären für alle Frauen schmerzhaft sein muß, und diejenigen, bei denen es nicht danach aussieht, lediglich über die bessere Selbstbeherrschung verfügen; aber das trifft nicht zu. Das Austreten des kindlichen Kopfes kann eine tiefe Befriedigung und Erleichterung verursachen – es wird teilweise als Grenzerfahrung von den Frauen beschrieben, ein Gefühl, daß sie stolz und glücklich macht!

Alle Medikamente, die man der Mutter gibt, gehen in den Blutkreislauf über und erreichen durch die Plazenta das Baby. Viele führen, vor allem in hoher Dosierung, dazu, daß die Babys schlaff und kraftlos sind, daß sie träge daliegen, anstatt munter umherzuschauen, wie es bei gesunden Neugeborenen der Fall ist, und daß sie nicht aufwachen, um zu trinken, oder heftig zu saugen, wenn sie an der Brust angelegt werden; und bei der Entbindung beginnen sie oft nur sehr langsam zu atmen. Viele Mütter, denen bei der Entbindung Schmerzmittel angeboten werden, würden es sich zweimal überlegen, ob sie diese als Teil der allgemein anerkannten Geburts-Routine so großzügig verabreichten Medikamente nehmen sollen, wenn sie wüßten, daß eine für sie mäßige Dosis für das Kind eine sehr hohe Dosis sein kann, die seine unausgereifte Leber nicht auszuscheiden vermag.

Es ist also die Summe der Dinge, die eine Geburt zu einem faszinierenden Abenteuer machen, zu einem großen Ereignis, das Mann und Frau miteinander teilen können und das für beide eine ganz neue Erfahrung bedeutet. Ich glaube, daß das Gebären in diesem Sinne wirklich ein Erlebnis sein sollte, durch das wir zu größerer geistiger und seelischer Reife gelangen.

Dies erfordert die bewußte Beteiligung der Frau. Sie ist nicht mehr ein passives, leidendes Werkzeug. Sie liefert ihren Körper nicht mehr dem Arzt und der Hebamme aus, damit sie mit ihm machen, was sie für richtig halten. Sie bewahrt sich die Kraft der Selbstbestimmung, der Selbstkontrolle, der Wahl, der freiwilligen Entscheidung und der aktiven Zusammenarbeit mit Arzt und Hebamme. Dazu bedarf es eines gewissen Grades an Intelligenz und an Wissen um die Abläufe in der Schwangerschaft und bei der Geburt. Die Gedanken, mit denen sie sich beschäftigt, müssen nicht nur angstfrei, sondern auch von Vorfreude auf die Geburt erfüllt sein. Um zu einer rhythmischen Koordination und Harmonie zu kommen, welche das Wesen einer guten Geburtsarbeit sind, muß die Gebärende vor allem gelernt haben, ihrem Körper und ihren Instinkten zu vertrauen. Das muß sorgfältig in den Monaten der Schwangerschaft gelernt werden.

Eine entsprechend gut vorbereitete Frau kann feststellen, daß sie sehr gut zurechtkommt, vor allem wenn sie einen Partner hat, der bereit und fähig ist, Verantwortung zu übernehmen und mit den anderen Mitgliedern des Entbindungsteams zusammenzuarbeiten, da die Entbindende selbst nicht dazu fähig ist zu Erklärungen herangezogen zu werden.

All dies verlangt Engagement schon in der ersten Hälfte der Schwangerschaft, eine klare Entscheidung, daß man sich der Vorbereitung auf die Geburt unterziehen will, und die Bereitschaft zu lernen. Oft muß ein Paar lange suchen, bis sie die Art von Anleitung finden, die sie brauchen, da sie nicht an jedem Krankenhaus angeboten wird. Eine Frau kann in diese Art von Geburt nicht einfach ohne Vorbereitung hineinstolpern. Ziemlich oft haben Frauen schnelle oder leichte Geburten, ohne im geringsten darauf vorbereitet worden zu sein, wie jede Hebamme weiß, aber selbst schnelle und leichte Geburten erbringen nicht die Fülle der Freude, die eine Frau bei einer Geburt erfahren kann, bei der sie trotz möglicher Schmerzen wissend und verstehend mitgearbeitet hat.

Das Endergebnis dieser Vorbereitung während der Schwangerschaft sind nicht gymnastische Geschicklichkeit, super-elastische Muskeln oder die Fähigkeit wie ein Yogi zu atmen, sondern ein geistiger Zustand, ein emotionales Bereitsein – Voraussetzungen, ohne die noch so viele körperliche Übungen keine geeignete Vorbereitung auf das Erlebnis des Gebärens darstellen.

Nichts desto trotz ist eine körperliche Vorbereitung auf jeden Fall wichtig, und Entspannung bildet die Basis, die Vorbedingung, ohne die eine glückliche Entbindung nicht wahrscheinlich ist. Und doch gibt es viele Mißverständnisse darüber, was Entspannung wirklich ist.


 


Fortsetzng folgt!



Quelle: Dagmar Lützenkirchen

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  Dagmar Lützenkirchen

Naturheilpraxis Naturheilpraxis Dagmar Lützenkirchen
Dagmar Lützenkirchen

Montanusstraße 25A
41515 Grevenbroich

1972
Anerkennung als staatlich geprüfte Hebamme
10jährige Tätigkeit in grossen renommierten Krankenhäusern –
bis zur leitenden Hebamme

1982
Geburt unseres Sohnes

1985
Aufnahme meiner freiberuflichen
Tätigkeit als Hebamme

1991
Anerkennung als staatlich geprüfte Heilpraktikerin

1992
Eröffnung meiner eigenen Praxis
in Grevenbroich

Seitdem spezialisiere ich mich ständig weiter durch Fortbildungen in klassischer Homöopathie, Farbpunktur und medizinischer Heilhypnose.

E-Mail: Naturheilpraxis.Luetzenkirchen@t-online.de

Internet: http://www.naturheilpraxis-grevenbroich.de

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