Körpergröße: Wann ist »klein« zu klein?

Hat mein Kind Wachstumsstörungen?

»Der Kleine ist aber süß!«, hören die Eltern von Neugeborenen sicher gern. Aber wenn der Sohn im Kindergarten immer noch der Kleinste ist, kommen viele ins Grübeln. Dr. med. Dirk Schnabel, Leiter des interdisziplinären sozialpädiatrischen Zentrums der Charité, Berlin, erklärt im folgenden Gespräch, wie man Wachstumsstörungen erkennt und behandelt.

Wie kommt man Wachstumsstörungen möglichst früh auf die Spur?

Schnabel: Wichtig ist, regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen, bei denen unter anderem die Körpergröße dokumentiert und in Wachstumskurven eingetragen wird. Normalerweise findet sich jeder Mensch in den ersten Lebensjahren auf der Perzentile für die Körpergröße ein, die ihm von seinen Eltern genetisch vorgegeben wurde.

Auf dieser verbleibt er in der Regel bis zum Abschluss des Wachstums. Diese sogenannten Perzentilen sind Prozentangaben. Liegt ein Kind beispielsweise mit der Körpergröße auf der 25. Perzentile, bedeutet das, dass 25 Prozent der Gleichaltrigen kleiner sind. Wer kleine Eltern hat, wird im Bereich der unteren Perzentilen wachsen. Fällt das Kind jedoch aus dem erwarteten Perzentilenbereich heraus, kann eine Wachstumsstörung die Ursache sein.

Ist es möglich, dass ein Kind nur zeitweise von »seiner« Perzentile abweicht?

Schnabel: Ja. Bei der häufigsten Variante eines vorübergehenden Kleinwuchses entwickeln sich die Kinder biologisch langsamer als ihre Altersgenossen. Sie kommen später in die Pubertät und ihr pubertärer Wachstumsschub setzt später ein. Nach Abschluss des Wachstums haben sie aber immer eine normale Größe erreicht. Meistens waren die Eltern ebenfalls Spätentwickler.

Was ist für den Arzt ein klarer Hinweis auf eine Wachstumsstörung?

Schnabel: Wenn die Wachstumskurve des Kindes innerhalb eines Jahres zwei Perzentilen – nach oben oder nach unten – kreuzt, sollte der Arzt nach den Ursachen schauen. Dann überprüft man zuerst, wie die Körperproportionen verteilt sind. Es kommt zum Beispiel vor, dass der Oberkörper von der Hüfte bis zum Scheitel normal wirkt, aber die Beine sehr kurz sind. Auch die Armspannweite gibt einen Anhaltspunkt. Sie entspricht normalerweise etwa der Körperhöhe. Sind die Arme jedoch zu kurz, stimmt etwas mit den Proportionen nicht. Beim sogenannten disproportionierten Kleinwuchs liegt eine strukturelle Störung am Knochen und dem Bindegewebe vor. Das kann man in der Regel nicht beeinflussen.

Stimmen die Körperproportionen, muss man Organerkrankungen zum Beispiel am Herzen, der Lunge, den Nieren oder eine Zöliakie ausschließen. Wenn sich dafür keine Anhaltspunkte ergeben, prüft der Arzt, ob eine hormonelle Störung die Ursache ist. Hier nimmt er vor allem Schilddrüsen- und Wachstumshormone unter die Lupe.

Wie sieht die Behandlung aus?

Schnabel: Das richtet sich danach, welche Störung gefunden wurde. Bei einem an Asthma erkrankten Kind, das Kortison bekommt und deswegen schlecht wächst, kann es zum Beispiel schon reichen, die Medikamente niedriger zu dosieren. Bei einem Wachstumshormonmangel gleichen wir dieses Defizit mit Wachstumshormonen aus, bei einer Schilddrüsenunterfunktion entsprechend mit Schilddrüsenhormonen. Kinder, deren Kleinwuchs mit Hormonen behandelt wird, erreichen als Erwachsene in der Regel eine normale Größe. Viele wachsen sogar in ihren genetischen Zielgrößenbereich (siehe unten) hinein, als ob sie nie einen Hormonmangel gehabt hätten.

So wird die genetische Zielgröße eines Kindes berechnet:

Mädchen: Größe des Vaters (in Zentimetern) plus Größe der Mutter (in Zentimetern), das Ergebnis durch zwei teilen, davon dann 6,5 abziehen.

Jungen: Größe des Vaters plus Größe der Mutter, das Ergebnis durch zwei teilen, dazu dann 6,5 hinzuzählen.

geschrieben von: Neue Apotheken Illustrierte

Foto oben von: © Pavel Losevsky – Fotolia.com

Kategorien: Gesundheit